Am Morgen unseres 2. Tages in Marrakesch erhielten wir unseren Mietwagen, mit dem wir die kommenden fast zwei Wochen Marokko entdecken wollten. Nach dem Trubel in Marrakesch war dann die Fahrt durch das Atlasgebirge Richtung Südosten eine echte Abwechslung – auf einmal wird die Landschaft so karg und weit und es gibt beeindruckende Aussichten über Berge und auf Ebenen.
Der Atlas – das bunte Gebirge
Der Atlas ist ein faszinierendes Gebirge, über das ich ehrlich gesagt nicht viel wusste. Daher war ich überrascht, wie hoch, lang und umheimlich vielfältig dieses Gebirge wirklich ist. Wie eine Mauer trennt der Atlas den Südosten Marokkos vom Nordwesten ab und erreicht dabei Höhen von über 4000 Metern.
Dabei darf man sich den Atlas nicht wie die Alpen vorstellen, obwohl beide Gebirge im Wesentlichen durch den Druck der afrikanischen auf die eurasische Kontinentalplatte entstanden und damit irgendwie Cousins sind. Die Alpen sehen ganz grob immer gleich aus: Unten dunkelgrüner Wald, drüber grüne Wiese und im Hochgebirge noch graue Gipfel oben drauf.
Gerade im südlichen Teil Marokkos ist man nie weit weg vom Atlas! Auf unserer ganzen Reise haben wir diese Gebirgskette oder deren Ausläufer eigentlich nie ganz verlassen – die Berge sind ständig irgendwie in Sicht und sorgen immer wieder für zauberhafte Wolkenschatten-Ausblicke.
Im Atlas aber gibt es aber kaum Vegetation, so dass wir immer direkt auf das Gestein schauen. Und das bietet eine umfangreiche Farbpalette: Von tiefrot über beige und braun bis hin zu fast schwarz. Wir waren überrascht, wie bunt und schön das Gebirge ist. Und darüber, dass hier die Landschaft manchmal so aussieht, dass man direkt einen Western darin drehen könnte. Marokko und der Westen der USA sind sich teilweise wie aus dem Gesicht geschnitten!
Aber schaut hier selbst, wie schön und vielseitig der Atlas ist:
Ait Ben Haddou, das UNESCO-Weltkulturerbe
Auch Ait Ben Haddou, ein Jahrhunderte altes befestigtes Berberdorf (Ksar), liegt im Atlasgebirge, oder genauer gesagt, an den südlichen Ausläufern des Hohen Atlas auf 1300 m Höhe am Rande einer Hochebene, die südlich von der Gebirgskette des Anti-Atlas begrenzt wird.
Bekannt ist das UNESCO-Weltkulturerbe Ait Ben Haddou wegen seiner rötlich-braunen Lehmhäuser, die sich malerisch an einem Felsbuckel zusammendrängen. Den Fuß des Buckels säumen jede Menge grüne Palmen entlang eines breiten Flussbettes, in dem der Fluss Maleh meist mehr als Rinnsal verläuft. Das für sich ist schon sehr sehenswert und Ait Ben Haddou diente daher als Kulisse für viele bekannte Filme und Serien (u.a. Gladiator, Game of Thrones, Königin der Wüste).
“Zu schön für diese Welt” wirkt Ait Ben Haddou aber besonders vor dem Hintergrund des Atlasgebirges. Dort erheben sich mehrere Felsketten und Plateaus, durch die sich das Tal des Flusses zieht. Das Spiel aus Licht und Schatten über dieser zerklüfteten Landschaft bietet wirklich grandiose Ansichten – ich kam gar nicht mehr aus dem Fotografieren raus 😀 Wir hatten aber auch riesiges Glück – denn am Nachmittag zog ein Gewitter durch, das uns wahnsinnig tolle Licht- und Regenspielereien beschwerte.
Ist das nicht unglaublich?
Das alte und das neue Ait Ben Haddou
Was ich gerade beschrieben habe, ist das alte, das historische Ait Ben Haddou. Dieser Ksar hat sich über die Jahrhunderte kaum verändert – zum Glück! Bis vor wenigen Jahren war der Ort nicht mal an das Stromnetz angeschlossen. Es gibt hier auch, soweit wir gesehen haben, keine Hotels oder Reklametafeln oder sonst was. Deswegen sieht Ait Ben Haddou eben auch so filmreif aus. Für Autos und Mopeds ist natürlich auch kein Platz, aber es gibt Esel 😀
Auf der Südseite des Flussbettes entstand seit den 1960ern (Quelle: Wikipedia) das neue Ait Ben Haddou. Hier gibt es Hotels, Restaurants, Läden und alles andere, was das Besucherherz begehrt. Und selbstverständlich kann man auch mit dem Auto reinfahren.
Wir verbrachten eine Nacht im sehr empfehlenswerten Hotel Dar Mouna. Es ist ein kleines, mit einer Mauer umgebenes Anwesen mit großer Ausblicksterrasse gegenüber der Altstadt – viele meiner Bilder hier sind von dort aus entstanden – und einem kleinen Pool im Garten. Abends haben wir im benachbarten Hotel-Restaurant La Fibule gegessen. Der Wirt servierte mir die beste Hühnchen-Tajine, die ich in unseren zwei Wochen Marokko hatte (und ich hatte ungefähr 11 oder 12 :D) und er war extrem sympathisch 🙂
Wer nun Ait Ben Haddou besichtigen möchte, muss zuerst den (fast ausgetrockneten) Fluss überqueren. Im September bei uns war es mehr ein Bach und es lagen Sandsäcke als “Stufen” aus, über die man rüberlaufen kann.
Wir empfehlen aber, stattdessen die Fußgängerbrücke zu nutzen, die nur 180 m weiter flußaufwärts steht. Warum? Das erfahrt ihr jetzt gleich.
Touristenfang in Ait Ben Haddou
So sehenswert und schön Ait Ben Haddou auch ist, so geschäftstüchtig sind auch viele seiner Bewohner. Und es ist wirklich heftig und teilweise schon sehr, sehr unangenehm, wie versucht wird, an euer Geld zu kommen.
Der Eintritt zu Ait Ben Haddou ist kostenlos. Das ist zwar überraschend, hier könnten sie doch ein wenig Geld für den Erhalt der Gebäude abzweigen – aber egal, offiziell kostet es nichts. Deswegen nehmt die Fußgängerbrücke. Ihr erfahrt gleich, warum.
Wir wollten ein möglichst authentisches Erlebnis, also keine Fußgängerbrücke. Die Furt lag auch näher, und wir wussten nicht, ob es einen Haupteingang gibt oder ob es eigentlich egal ist. Jedenfalls – wir begaben uns zur Furt.
Nachfolgend zwei Bilder von der Fußgängerbrücke aus, die wir auf dem Rückweg dann doch lieber genommen haben 😀
“Wegelagerei” an der Furt
Dort spielten schon kleine Kinder um die 10 Jahre. Wir gingen an ihnen vorbei – und sobald wir die Sandsäcke betreten hatten, standen sie auf einmal neben uns, ein Kind an jeder Hand. Sie “halfen” uns über den Fluss – ohne, dass die Hilfe nötig oder gewünscht wäre. Es ging einfach zu schnell, bevor wir die Hände wegziehen konnten. So eine Dienstleistung ist natürlich nicht kostenlos.
Und so gab es auf der anderen Seite dann gleich Geschrei und Trara. Pierre wurde schnell umrundet und gab dann seine letzte Münze, 10 Dirham, einem der Kinder. Immerhin 1 € – für nichts! Ich stand ein paar Meter hinter Pierre und hatte gar kein Kleingeld mehr. Die Kindertraube um mich herum wurde immer größer. Auf englisch riefen sie “Money, money!”.
Ich schaute in meine Geldbörse, die Kinder hingen buchstäblich schon an meiner Tasche. Als ich das Münzfach aufmachte, um ihnen die gähnende Leere zu zeigen, setzte der Junge vor mir einen bösen Blick auf. “No no, paper, paper!” rief er. Münzen sind wohl zu wenig – Papiergeld gibt es ab 20 dh, also 2 € aufwärts. Geht’s denn noch? 2 € für 15 Sekunden ungewollt Händchen halten?
Ich schüttelte den Kopf – hatte auch gar kein Geld unter 100 dh -, und wollte weitergehen. Immerhin hatten sie von Pierre schon was bekommen. Aber der kleine Scheißer stellte sich mir in den Weg, quengelte weiter. Money, money! Ich fühlte mich von Kindern umzingelt und befürchtete, dass die Männer in der Nähe näher kommen und ich Ärger kriege, weil ich Kinder bescheiße oder so. Also suchte ich meine letzten Euro-Centstücke zusammen und gab ihnen 90 Cent. Unzufrieden zogen sie ab.
Geschäftstüchtig schön und gut, aber sich derart dreist aufdrängen und dann auf Bezahlung bestehen, das ist schon eher Wegelagerei. Ich bereute schon ein wenig, das Hotel verlassen zu haben.
20 dh Eintritt “zur Erhaltung der Stadt”
Die nächste Wegelagerei folgte gleich darauf am Tor zur Siedlung Dort saßen mehrere Männer an der Wand, die uns irgendwas auf französisch zuriefen. Wir gingen weiter, weil wir nirgends eine Kasse oder sowas sahen.
Mit einem “Hey, hey!” wurden wir dann aber doch aufgehalten. Einer der Männer deutete auf ein handgeschriebenes Schild, das an der Wand hing. Auf französisch stand dort, dass zum Erhalt der Stadt 20 Dirham Eintritt gefordert werden. Ups, also doch Eintritt. Wir drückten dem Typen Geld in die Hand, erhielten auch Rückgeld, aber keine Quittung oder sowas. Dass der Eintritt eigentlich frei ist, erfuhren wir dann erst zu Hause, in diesem Moment wussten wir das nicht. Es ist unglaublich, wie dreist sie sind!
Ich bezweifle, dass der Betrag der Stadt zugute kam. Und die Typen machten wirklich gute Geschäfte, wir hatten den Nachmittag über viele Touristen diesen Weg nehmen sehen, und nach uns sahen wir auch schon die nächsten kommen. Ganz offensichtlich hatten wir den falschen Eingang genommen, denn nach dem Tor standen wir erstmal in einer Art Hof. Der Boden aus Lehm und Schlamm, es lag Holz herum und rechts neben uns stand in einem Lehmkabuff ein Pferd. Hier lebten offenbar noch Menschen!
Wo es nun weiterging, war nicht ersichtlich und wir standen auch ein wenig unter Stress, weil uns die Männer am Eingang weiter beobachteten. Also betraten wir mal einfach die nähere der beiden Türen auf der linken Seite, die in einen der großen Wohntürme aus Lehm führte. Dort gab es aber nichts außer Lehmböden, Lehmwände, eine Lehmteppe und ab und zu mal enge Fenster nach draußen. Ich weiß bis heute nicht, ob dieser Wohnturm bewohnt ist oder ob er dafür gedacht ist, von Touristen betreten zu werden. Wir gingen nach oben und standen dann auf einmal auf dem Dach des Turms.
Wie aus dem Boden gewachsen stand dann auch sofort ein Mädchen hinter uns. Ich fragte sie, ob das der richtige Weg sei, wir wollten ja nicht in irgendwelchen Privaträumen rumschnüffeln. Sie zeigte zurück nach draußen und kam mit. Dann zeigte sie auf die zweite Tür, vermutlich ging es dort weiter in die Stadt. Ok – natürlich hielt sie dann die Hand auf. Mangels Dirham gab Pierre ihr dann 1 oder 2 € und sie zog ab.
Hinauf zur Festung auf dem Berg
Das “öffentliche” Ait Ben Haddou sieht dann auch ganz anders aus. Wege aus Naturstein zeigen an, wo Touristenfüße zu erwarten sind. Wir müssen zugeben, dass wir vom eigentlichen Ort Ait Ben Haddou nicht viel gesehen haben. Durch die Erfahrungen mit den Kindern fühlten wir uns sehr unwohl, weil wir das Gefühl hatten, als wandelnde Geldbeutel angesehen zu werden. Wir hatten nicht viel Lust, in irgendeine Ecke zu kommen und dort wieder unter irgendwelchen fadenscheinigen Gründen Geld abgeluchst zu bekommen.
Daher wollten wir nur einfach schnell durch den Ort nach ganz oben laufen, zumal sich auch ein Gewitter ankündigte.
In Ait Ben Haddou gibt es viele kleine Läden, die die üblichen Souvenirs verkauften. Die Händler dort waren nicht übermäßig aufdringlich, sprachen uns aber durchaus auch an. Wie in Marrakesch reagierten wir meist gar nicht mehr auf Zurufe – was mir auch leid tut, weil wir uns so gegen Gespräche komplett sperren, auch dann, wenn es ein netter Kontakt wäre.
Als wir bei der Festung ganz oben auf dem Berg ankamen, hatten wir riesiges Glück: Es begann zu regnen! So waren wir fast die einzigen, die dort standen und die gigantische Aussicht genossen – denn es war mehr ein lokaler Schauer. Regenschleier, Oasen des Lichts und Wolkenschatten auf den Felsen und Bergen im Hintergrund gaben uns das Gefühl, Götter zu sein und über die Schöpfung zu blicken, während um uns herum Sonne und Regenwolken Krieg gegeneinander führten.
Wir blieben länger dort oben stehen. Eine Aussicht wie diese hat man nicht alle Tage. Deswegen: Geht in Ait Ben Haddou unbedingt auf den Berg zur Festung! Am besten morgens oder abends, um den großen Touristenströmen zu entgehen.
Fazit zu Ait Ben Haddou
Ait Ben Haddou ist ein absolutes optisches Highlight. Es gibt dort nicht viel zu tun, aber die Aussicht – sowohl auf die Stadt als auch von der Festung über der Stadt aus – ist wirklich grandios.
Allerdings kommen aus diesem Grund auch immer mehr Touristen dorthin, so dass das Ait Ben Haddou kein Geheimtipp ist. Vermutlich kommt ein Großteil aller Marokko-Reisenden dort vorbei, und sie alle bringen ähnliche Fotos mit. Aber trotzdem, die Aussichten bei Ait Ben Haddou gehören eindeutig mit zu den schönsten meines ganzen Lebens (vor allem auch wegen des Gewitters)!
Einen faden Beigeschmack hinterlässt auch, dass man immer auf der Hut sein muss. Manche Einheimische, insbesondere auch Kinder, lassen sich viel einfallen, um Geld von euch zu bekommen. Das nervt und sorgt für unnötigen Stress. Und ich glaube auch, dass es insgesamt nicht gut ist, wenn Touristen so bedrängt werden. Wenn die Menschen nicht so offensiv wären, würden wir nicht in Abwehrhaltung durch den Ort laufen und auch mal einen Blick in die Läden werfen.
Merkwürdiger Lichtschein im Osten von Ait Ben Haddou
Nach unserer folgenden Nacht im Hotel bemerkte ich schon beim Frühstück über den Bergen im Osten einen merkwürdigen Lichtschein. Es sah auf den ersten Blick aus wie eine Wolke – bewegte sich aber nicht und änderte auch nicht seine Form. Ich dachte mir nichts weiter dabei und wir fuhren dann weiter nach Ouarzazate.
Dort fiel mir das Licht auch wieder auf. Mittlerweile war die Erscheinung war größer und gleißender geworden und ein zweiter, kleinerer Schein war dazugekommen. Irgendwas schien da in der Luft zu schweben und hell zu strahlen, aber da war nichts, was solche Strahlen verursachen könnte.
Auch, nachdem wir Ouarzazate auf der N10 schon längst im Westen hinter uns liegen gelassen hatten, konnten wir den Lichtschein immer noch sehen. Es hat mich verrückt gemacht, nicht zu wissen, was das ist 😀
Über drei Wochen später weiß ich es nun. Das helle Gleißen wird vom weltgrößten Solarkraftwerk nördlich von Ouarzazate verursacht. Dort steht ein 240 Meter hoher Turm, auf dessen Spitze Tausende von kreisförmig um den Turm herum angeordnete Spiegel Sonnenlicht reflektieren. Warum dann in einigem Abstand zur Turmspitze diese Lichterscheinungen entstehen, kann ich mir nicht erklären – aber auf Google Maps könnt ihr die Solaranlage finden und dort auch Bilder anschauen. Dort sind solche Licher ebenfalls zu sehen.
Ein weiteres Rätsel gelöst – also, dann halte bei Ouarzazate doch mal Ausschau nach komischen Licht-UFOs!